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4. April 2018

Dialog der Tauben – Kulturpolitische Maßnahmen und ihre Realität

 

Das institutionelle Verständnis von Kultur weicht in entscheidenden Punkten von dem Selbstverständnis der Künstler*innen ab. Manche kulturpolitischen Entscheidungen werden ohne Rücksprache mit den Betroffenen gefällt; andererseits reagieren viele Produzenten mit einer prinzipiellen und wenig reflektierten Ablehnung gegen alle Vorschläge aus der Politik. Als Vermittler und Moderator zwischen den Parteien lädt das LaB K Vertreter der Künstlerschaft und der Kulturverwaltung zu einem Dialog ein und will herausfinden, welche Kommunikationsknoten künftig gelöst werden müssen und welche Übersetzungsarbeit zu leisten ist.

 

9. März im Glasmoog, Kunsthochschule für Medien Köln

 

Gäste:

Friederike van Duiven (Bildende Künstlerin, Vorsitzende BBK NRW)

Barbara Förster (Leiterin des Kulturamts Köln)

Dr. Hildegard Kaluza (Ministerium für Kultur und Wissenschaft)

Annebarbe Kau (Bildende Künstlerin, Vorstand Deutscher Künstlerbund)

 

Moderation: Dr. Emmanuel Mir


16. März 2018

Musikalität einer Bildung – oder: Eine intrinsische Revolution

Manuskript des Vortrags anlässlich der Podiumsdiskussion „Dialog der Tauben: Kulturpolitische Visionen und ihre Realität“ (23. Februar 2018 in Köln)

Meine Damen und Herren,

in meinem letzten Vortrag im Wintersemester der Akademie des Landesbüros für Bildende Kunst möchte ich eine Perspektive zur Bildung aufzeigen und dazu die Beschreibung einer Konstellation der Musikalität des Denkens aus dem vorherigen Vortrag aufgreifen.

Selbst wenn wir die Verantwortung für eine Initiative zur Bildung einmal übernehmen sollten – was, wie wir immer wieder erleben, längst nicht ausgemacht scheint – stünden wir immer noch vor der Frage nach dem Wie, der Gestaltung einer dieser Herausforderung entsprechenden Form. Mit erhöhten Etats allein wäre es sicher nicht getan.

Meine Grundthese lautet, dass wir bei der Gestaltung wirkungsvoller Formen einer Musikalität und Interdependenz in der Bildung eine noch einmal ganz neue Aufmerksamkeit für die Ressourcen der freien Kunst entwickeln und in einer erst noch zu gestaltenden Bezugnahme auf diese eigentlich immer noch unterschätzte Quelle zurückgreifen können.  Vor allem die Beweggründe und Arbeitsweisen in der freien Kunst, der intrinsische Charakter und die sich daraus ergebende Athmosphäre der Arbeit und Tätigkeit können grundlegend beispielhaft sein. Es gälte, Modi der Übertragungen, Rahmenbedingungen für methaphorische Momente zu schaffen, um beispielsweise allein schon den ethischen Geschmack der intrinsischen Beweggründe für weitere Teile des gesellschaftlichen Lebens und wirtschaftlichen Handeln zu gewinnen. Ich möchte die Bedeutsamkeit – und letztlich immer auch wirtschaftliche Relevanz – einer Orientierung an den Beweggründen in der freien Kunst andeuten und aufzeigen, wie etwa die für eine Gesellschaft essentielle Kultivierung einer ethischen Musikalität im Zusammenhang mit einer intrinsischen Orientierung und Athmosphäre steht.

Lassen Sie mich dazu ein wenig ausholen: Das häufige Auftauchen gleichartiger Motive in der Bildsprache von Märchen in verschiedenen Zeiten und Kulturen führte zur Frage, ob diese Analogien sich mehr oder weniger verborgenen Überlieferungen oder eher archetypischen Quellen verdanken. Eine ähnliche Frage stellt sich bei einem philosophischen Wiedergänger, einer philosophia perennis, dem wiederkehrenden Bild einer existentiellen Konstellation im Verhältnis zum Unfassbaren.

Im vorherigen Vortrag hatte ich dieses Grundmotiv in einer Spanne vom ersten Auftauchen in der Vorsokratik – über Dichterinnen und Dichter wie Catharina von Greiffenberg und Friedrich Hölderlin bis hin zu Stimmen des vergangenen Jahrhunderts wie Simone Weil, Ludwig Wittgenstein, Hannah Arendt, Walter Benjamin und Franz Kafka angedeutet: Die Konstellation des Menschen in seinem Verhältnis zum Ungreifbaren, die Implikationen des Erlebens vom Nichtwissen, die Formen einer docta ignorantia, einer belehrten Unwissenheit.

Erstmals ausdrücklich wurde diese Perspektive auf das ewige Geheimnis – auch als Affekt des Staunens und der Ehrfurcht – in einem philosophischen Gedicht des Xenophanes aus Kolophon. Gerade in dieser Perspektive eröffnet sich freie Denken im Eros der Unabschließbarkeit, die Intuition in gesteigerter Individualität. Nach Karl-Raimund Popper tritt hier erstmals das plurale, individuelle Denken und Deuten in der Methodik des kritischen Rationalismus als Medium menschlicher Entwicklung zutage.

Besonders hervorgehoben durch den Namensgeber der Epoche, Sokrates, nimmt das Motiv, gleichsam als eine Geschmacksrichtung des Geistes seinen Weg durch die Zeiten. In seinem Hinweis auf das oîda ouk eidōs, ich weiss dass ich nicht weiss, oder besser, Ich weiß als Nichtwissender, sieht Sokrates – so trägt er nach Platon in der Apologie, seiner Verteidungsrede vor dem Athener Gericht vor, den eigentlichen Grund der Anklage.

Die Implikationen des scheinbar paradoxen Verhältnisses im Widerspiel von Nichtwissen und Erfahrungsmöglichkeit: das freie Spiel der Gedanken, die Gesprächskunst, der Moment individueller Gewissheit im scheinbaren Paradox zum Unfassbaren (der Daimon des Sokrates, eine Art innere Stimme) und eine radikale Individualität, der unbedingt Einzelne in dieser komplementären Konstellation – all dies sei, so Sokrates, der eigentliche Grund für die Tatsache, daß ihm seine Athener Mitbürger mit Verve nach dem Leben trachteten. Auch in der weiteren Überlieferung spielte demgemäß das Bild dieser anthropologischen Konstallation als Gegenfigur einer machtbewehrten Kultur des Positivismus, eine stets dissidente aber gleichwohl unverdrängbare Rolle.

In mehreren Denkbildern beschreibt Franz Kafka die besagte Konstellation als Resonanzboden und erotischen Vertrauensraum der Kunst wie auch der menschlichen Existenz: „Diese ganze Litteratur ist Ansturm gegen die Grenze“. In dem leidenschaftlichen Verhältnis, der „Kraft des zielenden Blicks“ auf das Unfassbare, und gerade in der Intuition und dem Erlebnis der Unüberwindlichkeit der Grenze, eröffnet sich für Kafka eine besondere Fülle der Erfahrung: „An der Küste ist die Brandung am Stärksten, so eng ist ihr Gebiet und so unüberwindlich.“ Ausdrücklich beschreibt Kafka diese scheinbar paradoxe Konstellation als eine Methodik, als einen komplementären Übergangsraum zwischen Unfassbarkeit und Erfahrung, Gewissheit und Unabschliessbarkeit des Denkens: „Die Sage versucht das Unerklärliche zu erklären, da sie aus einem Wahrheitsgrund kommt, muss sie wieder im Unerklärlichen enden.“ Und Dies eben sei die Sache der Kunst: „Die Kunst fliegt um die Wahrheit, aber mit der entschiedenen Absicht sich nicht zu verbrennen. Ihre Fähigkeit besteht darin, in der dunklen Leere einen Ort zu finden, wo der Strahl des Lichts, ohne das dies vorher zu erkennen gewesen wäre, kräftig aufgefangen werden kann.

 

Auch Simone Weil beschreibt diese Konstellation als das anthropologische Grundmotiv ihrer Arbeit (In einem zu Kafkas Bildsprache, ohne Kenntnis der Schriften Kafkas, übrigens sehr ähnlichen Tonfall). Auch bei der französischen Philosophin fallen Erlebnis des Unfassbaren und Zuversicht der Erfahrung in Eines: „Die Welt ist die geschlossene Pforte, sie ist eine Schranke und zugleich der Durchgang.“ Wie auch Kafka beschreibt sie Ihr metaphorisches Vertrauen: „Der Übergang zum Transzendenten vollzieht sich, (…) wenn die menschlichen Fähigkeiten – Verstand, Wille, menschliche Liebe – an eine Grenze stoßen (…) und der Mensch auf dieser Schwelle verharrt, über die Hinaus er keinen Schritt tun kann.“ Und auch sie spricht von einer Methode in Betracht auf diese Konstellation: „Die eigentliche Methode der Philosophie besteht darin, die unlösbaren Probleme in ihrer Unlösbarkeit klar zu erfassen, sie dann zu betrachten, weiter nichts, unverwandt, unermüdlich, Jahre hindurch, ohne jede Hoffnung, im Warten.“

 

Mit Hinweisen von Ludwig Wittgenstein kommen wir nun weiter zu unserem Beispiel: Der Erfahrung einer ethischen Musikalität in diesem Verhältnis. Auch Wittgenstein betont zunächst das Unfassbare, von dem man nicht sprechen solle, indem man in diesem etwas mit Worten festzustellen suche: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Gleichwohl liegt aber auch für Wittgenstein in dem „zielenden Blick“, in der Ausrichtung, und Perspektive auf das Unerklärliche die essentielle Erfahrungsmöglichkeit und Ermutigung: „Es gibt allerdings Unaussprechliches, dies zeigt sich, es ist das Mystische.“ Die Kursivierung bei „dies zeigt sich“ stammt von Wittgenstein selbst; es geht ihm also um die Betonung des Offenbarungscharakters in diesem Verhältnis, etwa in dem Sinne, wie auch Walter Benjamin es in wenigen Worten fasste: „Wahrheit [sei] nicht Enthüllung die das Geheimnis vernichte, sondern Offenbarung die ihm gerecht werde.“

Wittgenstein verweist nun auf eine Erfahrung, die auch in dem lebenszugewandten „mystischen Humor“ Kafkas und Simone Weils wesentlich ist: die Unmittelbarkeit einer ethischen Musikalität, einer gleichsam intrinsischen Ethik in dieser Konstellation. Wittgenstein: „Es ist klar, dass sich die Ethik nicht aussprechen lässt, die Ethik ist transzendental.“

Eine aussprechbare Ethik wäre Moral oder Tugendlehre. Eine Sekundärtugend gleichsam. Eine wirksame und tiefbegründete ethische Musikalität gilt für Wittgenstein in ihrer transzendental-intrinsischen Natur als „unaussprechbar“.

Wäre dies aber denkbar? Und wie wäre es denkbar: Etwas so tragendes, für das praktische Leben bedeutsames, ja für das Überleben der Menschheit in globaler Perspektive entscheidendes wie eine ethische Haltung, ein Verantwortungs- wie auch Sinngefühl, habe seine Quellen gerade im Unfassbaren, in einem ›ewigen Geheimnis‹ ?

Die Frage, wie denn ein solcher Offenbarungcharakter, eine solche Übertragung überhaupt funktioniere oder zum Tragen komme, kann ich hier nicht weiter erörtern. Deutlich aber wird schon, dass eine Orientierung nach moralischen Regeln, Gesetzen und Verfassungen allein – so hilfreich und notwendig in ihrer Art diese auch seien – nicht ausreichend ist.

Hanna Arendt beschreibt in ihrer Vorlesung „Some Questions about moral philosophy“, auf wie schwachen Füßen eine reine Tugend- und Morallehre stehe. Gerade in Anbetracht der Menschheitkatastrophe des deutschen Faschismus habe sie sich als eigentlich halt- und kraftlos erwiesen. Moralische Grundsätze einer scheinbar humanistischen Kultur konnten ohne weiteres und innerhalb kürzester Zeit in ihr Gegenteil verkehrt werden. Das Töten wurde Tugend der Zeit. „Sachzwänge“ lassen sich immer konstruieren – und „der Mensch ist ein Schuft, er gewöhnt sich an alles. (Dostojewskij)

Auch Arendt lenkt den Blick auf das Verständniss einer intrinsischen und von daher tragfähigen ethischen Kultur: Diejenigen die sich der national-rassistischen Barbarei verweigert haben, hätten dies nicht getan weil sie sich sagten: „Das darf ich nicht tun“, sondern weil sie einfach wussten: „das kann ich nicht tun.“

Auch in unserer gegenwärtigen Situation wird deutlich, dass etwa die leitenden Akteure in der Wirtschaft und Industrie letzlich immer wieder zu allem bereit sind; aufgrund der Geschehenisse muss man zu dem Eindruck kommen, daß der Rendite-Typus, bar jeder ethischen Musikalität, nur durch eine – immer mehr erodierende – politische Einhegung noch davon abgehalten wird, immer wieder zu tun, was nur irgend möglich ist.

Unsere Gesellschaft versteht sich in postsäkularer Zeit als auf verfassten Regeln und Gesetzen fußend. Das Grundgesetz gibt eine grundlegende ethische Orientierung. Wie wenig aber in der zunehmend komplexen Welt, im immer feineren Gespinst von Technik und Digitalisierung, ethisches Handeln von Regeln und Gesetzen noch erfasst oder eingehegt werden kann – zeigen die jüngsten Ereignisse.

Die wirtschaftlichen Folgeschäden der immanenten Ruchlosigkeit – letzlich beruht die neo-liberale Orientierung in der Wirtschaft auf der gleichen Prämisse wie die faschistische Ideologie, dem Wissenschaftsaberglauben des Sozial-Darwinismus – die Folgeschäden eines Mangels an ethischer Musikalität und Herzensschönheit in einer solchermaßen doch weitgehend bestimmenden Wirtschaftskultur verursachen, nach scheinbarem, kurzfristigem Gewinn, unermessliche Schäden in einer zeitlich weiteren und allgemeinen Perspektive.  Auch von hier aus wird deutlich, in welchem Ausmaß eine intrinsische Kultur Einfluss auf reale, greifbare wirtschaftliche und gesellschaftliche Auswirkungen hat.

Ein Residuum nun – so möchte ich sagen – in dem die intrinsische Orientierung noch lebendig ist, ja wo gleichsam „aus der Natur der Sache her“ gelebt und gearbeitet wird, wo die Resonanzräume noch nachklingen, die ich soeben in der Spanne von Xenophanes bis Weil angedeutet habe, ist die freie Kunst; allerdings auch darin schon bedrängt durch die allgemeine Tendenz zur Marktförmigkeit.  Allein schon in den persönlichen Beweggründen der Akteure und der diesem Genre eigenen intrinsischen Leidenschaft, liegt eine Quelle für eine grundlegend andere Orientierung.

Ein verwandter und praktischer Aspekt des „ganz Anderen“, dem revolutionären Charakter des intrinsischen Beweggrundes ist – das will ich hier nur kurz erwähnen – die Vorstellung der Ermöglichung einer breiteren Kultur der intrinsischen Arbeit und Tätigkeit durch die Einführung des allgemeinen Grundeinkommens.

Wie nun aber eine „Übertragung“ oder Adaption aus der besagten Quelle der „freien Kunst“ in ihrer konkreten gesellschaftlichen Gestaltung aussehen könnte, kann ich hier nur andeuten.

Möglich wäre für Erste, eine Akademie, oder besser: ein kepos als experimentalen Ort zu begründen, wo, nach dem Vorbild der freien Kunst, Erfahrungen metaphorischer Momente und Muster erprobt und aus-geübt werden können; getragen und ermutigt durch eine besondere Umgebung der Überlieferung, einem Umfeld der Erinnerungskunst in einem übergangslosen Zueinander von Kunst, akustischer Kunst, Literatur, Philosophie, Naturwissenschaften, angewandter Kunst und Design.

Von dieser Forschungsarbeit in der eigens ausgeprägten Form eines kepos, können Anregungen und konkrete Formen in weitere gesellschaftliche und wirtschaftliche Bereiche übergehen.

Vielleicht kann die Akademie des Landesbüros für bildende Kunst in dieser Ambition eine Vorreiterrolle einnehmen und vor allem auch für das „Ganz Andere“, für den Reichtum der intrinsischen Konstellation eine neue Aufmerksamkeit schaffen.

Eine Gesellschaft, die in die Erprobung einer solchen Orientierung investiert und die ja, gerade in NRW, von der Umgebung der freien Kunst her alle Möglichkeiten dazu hat, könnte sich selbst als eine Form der Kunst, als „soziale Plastik“ einer Bildungsgesellschaft entwickeln.

Nun hatten wir ja in den vergangenen dreissig Jahren eine genau entgegengesetzte Tendenz.  Aufgeschreckt durch Leistungsmessungen wurden gezielt und umfassend zweckgerichtete Motive des Lernens in den Vordergrund gerückt. Bildung als optimierte Zurichtung der human resources für einen Markt in globaler Konkurrenz.

Auch das ernüchternde Erlebnis dieser mutwilligen Dekadenz mag zu einer neuen Orientierung ermutigen.

Meine Damen und Herren, wir stehen – und ich glaube damit nicht zu große Worte zu machen – in dieser Zeit an einem Scheideweg:

Die vor einiger Zeit noch tragenden Narrative der Moderne scheinen entkräftet und erschöpft von den machtvollen und letztlich bestimmenden utilitären Prozessen der wirtschaftlichen und finanzbeherrschenden Kräfte. In der Akkumulation des Gefühls einer unerfindlichen Sinnlosigkeit und dem leeren Prozess einer zynischen Vernunft enstehen neue Anfälligkeiten für längst überwunden Geglaubtes.

Kultur ist ein höchst fragiles Gebilde. Kulturbrüche in scheinbar hoch-zivilisierten Gesellschaften scheinen plötzlich wieder möglich. Das ist der Schock der jüngsten Zeit: Das fraglose Verständnis von menschlicher Entwicklung überhaupt und die Hoffnung in die Unmöglichkeit der Wiederkehr der Barbarei, dass heisst des national gefärbten Rassismus, den wir gerade doch in Anbetracht der Ungeheuerlichkeit des Geschehens als für immer überwunden glaubten, gerät ins Wanken. Deutlich wird, wie essentiell, wie unschätzbar der Wert von prägenden Motiven aus Kunst, Literatur und Philosophie sind. Lebendige Werte benötigen eine stetige wie fragile Erinnerungskunst in der offenen Überlieferung und intrinsischen Orientierung, im Zuge gleichsam einer vermittelten Unmittelbarkeit.

Nun aber, da, wie es im Märchen oft heisst wenn die Zeit reif ist: „Die Sonne schon hoch am Himmel steht“ scheint es geboten, auf die Tragweite der intrinsischen Beweggründe und somit auf den ungebrauchten Reichtum der freien Künste aufmerksam zu machen. „Jeder Mensch ist ein Künstler“ – Ich glaube nicht, dass Joseph Beuys diesen Satz in dem Sinne meinte, dass in jedem Menschen ein zur künstlerischen Produktion gereichendes Potenzial ruhe oder auszuleben sei. Vielleicht dies auch – mehr oder weniger. Worauf es Beuys hier wohl eher ankommt, scheint mir, ist der Hinweis auf die grundlegende Begabung in der Konstellation, die ich soben von Xenophanes bis Simone Weil beschriebenen habe, als eine gemeinsame Quelle der künstlerischen Arbeit wie auch jeder Existenz.

Dieser Begabung zu ihrem zu-sich-selbst-kommen zu verhelfen (in nunmehr allerdings post-kanonischen, pluralen Formen) im Sinne des Gedankens von Simone Weil, dass die Intelligenz nichts finden –, sondern nur den Weg frei machen müsse, wäre doch einen Versuch wert.

Gut möglich, dass nach der neolithischen und industriellen Revolution, nun auch im Nachklang der digitalen – eine intrinsische Revolution unserer Aufmerksamkeit und Gestaltung bedarf.

Axel Grube
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https://vimeo.com/256999288

Was braucht die Kunst? – Gestaltung einer zeitgemäßen Künstlerförderung

Panel 1

Wie ist es um die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Kunstschaffenden in NRW bestellt? Reichen die Bildungs- und Fortbildungsangebote aus? Wie finde ich passende Stipendien, bezahlbare Ateliers oder relevante Ausstellungsmöglichkeiten? Und: Was braucht die Kunst? Das sind einige der Fragen, die das LaB K künftig stellen und beantworten möchte.

Gäste:

Sebastian Freytag (Bildende Künstlerin)

Prof. Mischa Kuball (Professor für Medienkunst an der KHM Köln)

Dr. Stefanie Lucci (Geschäftsführerin Dr. Lucci Art Affairs)

Vero Pfeiffer (Bildende Künstlerin)

Friederike van Duiven (Bildende Künstlerin, Vorstand BBK NRW)

Moderation: Dr. Emmanuel Mir


1. März 2018

Kreation und Kreativität – eine kulturpolitische Verwechslung

 

Wenn Fußballspieler oder Steuerberater kreativ sind, hat sich der Begri der „Kreativität“ so weit aufgelöst, dass er nicht mehr mit einer kulturellen Schöpfung im Einklang gebracht werden kann. Andererseits wird das Kreative als unbedingt förderungsfähig erklärt, wie die anhaltende politische Fokussierung auf die Kreativwirtschaft beweist. Hat die Bildende Kunst im Zeitalter des kreativen Imperativs noch etwas zu melden? Wie korrespondiert die im Ruhrgebiet pilotierte Individuelle Künstlerförderung mit den spezifischen Bedürfnissen und der besonderen Arbeitsweise von Künstler*innen?

 

16. Februar 2018 im Kunsthaus Essen

 

Gäste:

Bernd Fesel (ecce)

Thomas Lehmen (Choreograph und Tänzer)

Dr. Uwe Schramm (Kunsthaus Essen)

 

Moderation: Dr. Emmanuel Mir


John William Waterhouse, Hylas und die Nymphen, 1896, © Manchester City Galleries

21. Februar 2018

Opferkunst. Reinigt #MeToo den öffentlichen Raum?

»Dieses Museum präsentiert den weiblichen Körper als entweder ‚passiv-dekorativ‘ oder ‚femme fatale‘. Lasst uns diese viktorianische Fantasie hinterfragen!« Clare Gannaway

Was war passiert? Die Manchester Art Gallery hat im Rahmen einer Kunstaktion der Künstlerin Sonia Boyce das Gemälde Hylas und die Nymphen des präraffaelitischen Malers John William Waterhouse entfernen lassen und forderte die Besucher anschließend dazu auf, zu diskutieren, »wie wir Kunstwerke in Manchesters öffentlicher Sammlung zeigen und interpretieren«. Clare Gannaway, die Kuratorin für zeitgenössische Kunst des Museums, unterstrich, dass es bei der Aktion nicht um Zensur, sondern um eine Debatte im Rahmen von #MeToo und weiblicher Repräsentation ging, die Debatte fand statt, das Gemälde hängt inzwischen wieder.

Bereits Stunden nach dem künstlerischen take-over konnte man auf der Website des Museums, unter dem Hashtag #MAGSoniaBoyce und an Post-Its auf der Museumswand die Diskussion verfolgen, wobei die Taz fragte: »Ist es wirklich Zensur, wenn nicht der Staat die Kunstfreiheit einschränkt, sondern eine Galerie sich für eine Kunstperformance dazu entscheidet, ein einzelnes Gemälde abzuhängen?« Da ich auch auf rhetorische Fragen immer gerne reagiere, lautet meine Antwort: Eine Kunstfreiheit kann nicht durch eine andere ersetzt werden. Was genau passiert ist, wird sich zwar erst zeigen, wenn Boyce das Video der Aktion veröffentlichen wird, dennoch: Kunstfreiheit heißt eben auch, dass »Selbst ein versauter alter viktorianischer Perverser das Recht hat, Softporn-Nymphen zu malen.«

Quelle: Twitter @Artlyst

Was mich aber dann doch beschäftigte ist die Frage, was genau die Aktion kritisierte: Die Darstellung von Nacktheit, den Umgang der Präraffaeliten mit ihren Modellen, die Rolle der Frau? Wenn es um Letzteres ging: Die Präraffaeliten haben exakt das getan, was ihnen heute vorgeworfen wird: viktorianische Fantasien hinterfragt.

Im Viktorianischen Zeitalter war das Frauenbild von Schwäche geprägt. Ehebruch, uneheliche Kinder und Prostitution waren Gefahren, denen die traditionsbewusste ehrbare Frau ausgesetzt war. War sie solchermaßen »gefallen«, hatte sie mit wenig Mitgefühl zu rechnen. In einer Gesellschaft, in der die Aufgabe der Frau die Domestizierung des Mannes war und ihre Sexualität gesellschaftlich und theoretisch nicht nur unterdrückt, sondern negiert wurde, sind Frauen als sexuelle Wesen hochprovokativ und ihre Darstellung durchaus ein Akt von Women’s empowerment. Namentlich John Ruskin, selbst Maler und ein wichtiger Freund und Förderer der Präraffaeliten, hat in zwei Vorträgen sowohl das stereotype Männlichkeitsideal der puren Nützlichkeit als auch die Mädchenerziehung als Ausrichtung der Frau auf den Mann und die Unterwerfung in der Ehe aufs schärfste kritisiert. (1) Seine Forderungen nach Geschlechtergerechtigkeit gelten heute als wichtiger Schritt für die Frauenbewegung. (2)

Ein Museum, das in seinem Haus unter diesen Vorzeichen ein Gemälde abhängt, handelt historisch inkorrekt, was für eine Forschungsinstitution kein »großer Erfolg«, sondern zumindest ein wenig peinlich sein sollte.

Die Frage bleibt: Was wird kritisiert? Das Eingangszitat der Kuratorin legt nahe, dass die Frauen auf dem Gemälde von Waterhouse als Opfer wahrgenommen werden. Als Opfer männlicher Fantasien. Der italienische Philosoph Daniele Giglioli schreibt in seinem hervorragenden Buch Die Opferfalle (3), dass Opfer die säkularisierten Märtyrer unserer Zeit sind, vor allem, weil ein Opferstatus diese Gruppen vor jeglicher Kritik immunisiert. Einem Opfer muss man glauben, wir müssen ihm gedenken und es wird ausschließlich an seine Verletzung geknüpft.

Giglioli kritisiert dieses Stereotyp, weil das leidende Opfer seiner Handlungsfähigkeit beraubt ist: Stellvertretergruppen bilden sich, die im Namen des Opfers sprechen und Rechte einfordern, deren Legitimität kaum hinterfragbar ist: Ein berühmtes Beispiel der letzten Zeit ist das sog. Affen-Selfie und seine Folgen. Einem Affen werden Rechte am eigenen Bild eingeräumt, der Affe war aber nie Kläger: Die Tierschutzorganisation Peta maß sich ein Mandat an, dass den Fotografen des Affen-Selfies in den Bankrott zwang.

Auch andere Ausstellungen wurden wegen Missbrauchs- und Belästigungsvorwürfen gegen die Künstler gestoppt, darunter eine Chuck Close-Ausstellung in der National Gallery of Art in Washington und eine Schau von Bruce Weber in den Hamburger Deichtorhallen. Museen »sind (aber) weder Konsensmaschinen, noch moralische Kläranlagen«, sagt Philipp Demandt, der Direktor des Frankfurter Städel Museums. Seine Kollegin aus Stuttgart, Ulrike Groos, ergänzt: »Für mich ist keine Diskussion möglich, wenn das entsprechende Objekt nicht zu sehen ist. Wir als Museen sind gehalten, Tatsachen offenzulegen und nicht Vermutungen zu folgen.« Und letztendlich ist die Frau als Opfer ein weiteres Stereotyp, welches ebenso kritisiert werden kann wie ihre Darstellung als Dekoration oder Verführerin.

Quelle: Twitter @SusisSenf

Wenn man Museen, Häuserfassaden oder andere öffentliche Räume dahingehend reinigt, muss man von Reviktimisierung sprechen, einem in der Dokumentarfotografie geläufigen Diskurs, wie mit ‚Opferbildern‘ umgegangen wird. Der psychologische Begriff verweist auf eine traumatische Opfererfahrung, die durch ein späteres Ereignis wieder aktiviert werden kann. Alte, unaufgearbeitete Verhaltensweisen und traumatische Erlebnisse werden aktiviert und man ist gezwungen, seinen Opferstatus zu wiederholen. Dieser Begriff ist in der Fototheorie vor allem hinsichtlich historischem Fotomaterials problematisiert worden. Abigail Solomon-Godeau fragt

»(…) ob der dokumentarische Akt nicht einen doppelten Akt der Unterjochung impliziert: erstens in der sozialen Welt, die die Opfer hervorgebracht hat; und zweitens im Regime des Bildes, das innerhalb desselben Systems und für dasselbe System produziert wird, welches die Bedingungen, die es repräsentiert, schafft.« (4)

Oder geschaffen hat. Um ein Beispiel zu nennen: Die Roten Khmer haben aus logistischen Gründen ihre Opfer im Gefängnis S-21 vor der Hinrichtung fotografiert. Darf man diese Fotos heute ausstellen? Und wenn ja, wie? Werden so nicht ebenfalls die Täter als ‚Künstler’ reproduziert? Und sieht man noch die Wände der theoretischen Zelle, in die man sich selbst einschließt? Ich kann und will an dieser Stelle die Frage nicht beantworten, sondern auf die gemeinsamen Diskurse in Kunst und Fotografie verweisen, die nur einen Unterschied haben: Den Index. Bei einer weniger der Realität versprochenen Kunstform ist der Schrei nach Sichtbarkeit lauter, ebenso wie die Sicherheit, dass es sich um gestaltete Kunst, nicht um dokumentierte Wirklichkeit handelt.

Im Gedicht zieht man sich in der Sprache hinter die Sprache zurück. Wenn auf einer Hausfassade die Worte eines lyrischen Bewunderers Studentinnen reviktimisieren, wie vom Asta der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin behauptet, muss man dann das Gedicht entfernen oder die Opferrolle thematisieren, die die Übermalung fordert? Vielleicht ist es wirklich fast so, wie der französische Kulturanthropologe René Girard schrieb:

»Heute kann man nur verfolgen, in dem man sich zum Gegner der Verfolgung erklärt. Man kann nur die Verfolger verfolgen. Man muss beweisen, dass man einen Verfolger zum Gegner hat, will man das eigene Verfolgungsbedürfnis befriedigen.« (5)

(1) Ruskin, John, Sesame and Lilies (1865). Hrsg. von D. Epstein. New Haven/London 2002.

(2) Kersting, Christa, Das Geschlechterverhältnis in den Konstrukten der internationalen Frauenbewegung um 1900 und seine Bedeutung für die Bildung, in: Mietzner, Ulrike; Tenorth, Heinz-Elmar; Welter, Nicole (Hg.): Pädagogische Anthropologie – Mechanismus einer Praxis. Weinheim u. a. 2007, S. 124–140.

(3) Giglioli, Daniele, Die Opferfalle. Wie die Vergangenheit die Zukunft fesselt, Berlin 2016.

(4) Solomon-Godeau, Abigail, Wer spricht so? Einige Fragen zur Dokumentarfotografie, in: Herta Wolf (Hg.), Diskurse der Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters, Frankfurt a. Main 2003, S. 53–74.

(5) zitiert nach: Giglioli, Daniele, Die Opferfalle. Wie die Vergangenheit die Zukunft fesselt, Berlin 2016, S. 40.

Dr. des. Anja Schürmann
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